Ich lese viele Newsletter von Wissenschaftlern, Autoren, Journalisten und anderen Menschen, die ich bewundere. Unter ihnen ist Krista Tippett, Moderatorin des On Being-Podcasts. Jede Woche stellt Tippett einem Gast aus Wissenschaft, Literatur, Kunst oder Religion tiefgreifende Fragen über das Menschsein und wie man am besten mit sich und anderen lebt.
In den letzten Monaten hat das On-Being-Team eine Pause eingelegt, um die Sendung umfassend zu überarbeiten. Daher war ich hocherfreut, vor zwei Wochen Tippetts „Bin-wieder-zurück“-Newsletter in meiner Inbox zu finden. Noch mehr freute ich mich, als ich sah, worüber Tippett schrieb: eine tägliche Routine, die sie im Laufe des Sommers entwickelt hat und bei der es darum geht, mit der Hand zu schreiben.
Ihr müßt wissen, dass mir Handschriftliches sehr am Herzen liegt. Etwas mit der Hand zu schreiben, empfinde ich in vielerlei Hinsicht als hilfreich. Daher höre ich gerne, welche Erfahrungen andere machen, wenn sie zu Stift und Papier greifen.
Tippett beschreibt eine Routine, die Lesen und Schreiben kombiniert; sie verweist auch auf Interviewgäste, die sie in der Sendung hatte. Ich lasse sie einfach selbst zu Wort kommen:
Eines der Geschenke dieses Sommers war Zeit zu haben, mich in ein Ritual vertiefen zu können, das ich mittlerweile als kontemplatives Lesen verstehe. Ich begann jeden Tag mit einem übergroßen Notizbuch auf meinem Schoß und einem aufgeschlagenen Buch daneben. … Morgen für Morgen las ich [in Romanen, Gedichtbänden oder Sachbüchern] und zwischendurch schrieb ich. Von Hand. Ich musste langsam vorgehen, da meine Handschrift sehr chaotisch ist. Das langsame Tempo tat mir gut, ebenso keinen Bildschirm in der Nähe zu haben.
Ich habe immer wieder an die Erkenntnis von [Dichterin] Naomi Shihab Nye gedacht – und sie erlebt –, dass wir, wenn wir im Tagebuchmodus schreiben, mit den vielen Ichs in uns in Kontakt kommen … Auch was ich von [der klinischen Psychologin] Dr. Christine Runyan gehört hatte, inspirierte mich, mit der Hand zu schreiben. Sie hatte mir erklärt, dass wenn wir mit der Hand schreiben, im Gegensatz zum Tippen, Dinge sowohl emotional als auch mental verarbeiten. …
Manchmal schrieb ich Sätze und Absätze ab, die mich bewegen, etwas in mir auslösten oder einfach schön waren. .. Diese Notizen lösten oft eigene Reflexionen aus und brachten in mir alle möglichen Erinnerungen und Geschichten zum Vorschein.
Ist das nicht eine wunderbare Beschreibung? Ich kann Tippett förmlich auf ihrem Sessel sitzen sehen, lesend und schreibend. Ich werde ihre Technik auf jeden Fall ausprobieren…
Tippetts Post brachte mir aber nicht nur die Idee des „kontemplativen Lesens“ näher. Es motivierte mich auch, tiefer darüber nachzudenken, was das Schreiben mit der Hand für mich bedeutet. Als Journalistin schreibe ich bei Interviews eine Menge mit der Hand, wenn ich notiere, was Gesprächspartner sagen. Darüber hinaus spielt Handschriftliches aber noch einige andere Rollen in meinem Leben, die vom Profanen bis zum Tiefgründigeren reichen. Hier ist eine Auflistung.
Einkaufsliste: Ich habe es mit Apps versucht, aber meinen Einkaufszettel per Hand zu schreiben, geht schneller. Witzigerweise vergesse ich meine Liste oft zu Hause und im Laden merke ich dann, dass ich sie gar nicht brauche, weil ich mich an die Dinge erinnere, die ich aufgeschrieben habe. Dies funktioniert mit einer handgeschriebenen Liste, aber nicht so gut mit einer getippten.
Briefe: Abgesehen von gelegentlichen Weihnachts-, Geburtstags- und Ansichtskarten, schreibe ich Freunden und Familienmitgliedern meist Emails und SMS. Aber es gibt eine Ausnahme: die Briefe an meine 86-jährige Tante. Renate ist die Schwester meiner verstorbenen Mutter und lebt im Schwarzwald. Wir haben mit dem Briefeschreiben 2012 nach dem Tod meiner Mutter begonnen. Die beiden Schwestern waren seit Jahren Brieffreundinnen gewesen und irgendwie fühlte es sich für mich richtig an, an die Stelle meiner Mutter zu treten. Darüber bin ich heute sehr froh. Die Korrespondenz hat nicht nur meine Beziehung zu meiner Tante vertieft, sondern das Briefschreiben hat sich für mich auch als beruhigendes und zentrierendes Mittel erwiesen. Um etwas Interessantes zu Papier zu bringen, muss ich einen Schritt zurücktreten und darüber nachdenken, was es wert ist, erzählt zu werden. Außerdem muss ich mein Tempo bremsen, damit die Worte, die ich zu Papier bringe, lesbar sind. (Und noch ein positiver Nebeneffekt: Da ich üblicherweise in einem Café in meinem Viertel in San Francisco schreibe, fragten einige Leute, die einen Blick auf meinen Briefblock geworfen hatten, nach meiner „ungewöhnlichen“ Handschrift. Es stellte sich heraus, dass die Buchstaben, die ich in meiner Kindheit in Deutschland gelernt habe, für Menschen, die in den USA oder anderen Ländern zur Schule gegangen sind, fremd aussehen. Dies hat einige interessante Gespräche ausgelöst. Wikipedia hat einen ganzen Artikel über regionale Variationen von Handschriften. Faszinierend!)
Brainstorming – Planung – Entscheidungen treffen: Immer wenn ich Ideen sammeln oder ein neues Projekt skizzieren will, greife ich zu Papier und Stift - um festzuhalten, was mir durch den Kopf geht. Das Gleiche gilt, wenn ich private oder berufliche Entscheidungen treffen muss. Ich verwende Stifte in verschiedenen Farben und Dicken, male Wolken um wichtige Begriffe und visualisiere Verbindungen zwischen Wörtern durch Pfeile. Diese Technik, die dem sogenannten Mind Mapping ähnelt, hilft mir, gleichzeitig spielerischer und strukturierter zu sein, was sich fast magisch anfühlt.
Journaling: Ich schreibe Tagebuch, seit ich 12 bin, nicht jeden Tag, aber mehrmals pro Woche. So haben sich Dutzende von Kladden angesammelt, die ich in unserem zweiten Zuhause in Köln sicher verwahre. Wenn ich dort bin, blättere ich sie gelegentlich durch, und meine Gefühle dabei sind gemischt. Manchmal bin ich überrascht, wie viele banale Dinge ich aufgezeichnet habe, etwa meine Pläne für einen bestimmten Tag oder das Wetter. Manchmal bin ich tief bewegt von der Freude oder Traurigkeit, die aus einer Seite spricht.
Das Tagebuchschreiben selbst empfinde ich fast immer als wohltuend. Noch mehr als beim Briefeschreiben führt Journaling bei mir dazu, dass ich einen Schritt zurücktrete und entschleunige. Den Stift über die Seite gleiten zu lassen, hat fast etwas Meditatives. Und Wörter und Sätze niederzuschreiben fühlt sich an, als würde ich eine Menge Zeug aus meinem Kopf ausladen, so dass dort oben Raum und Luft entsteht.Lernen: Im Studium machte ich alle meine Aufzeichnungen per Hand. Wohlgemerkt, das war in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren; es gab zwar Computer, aber keine Laptops, Tablets oder Smartphones. Mal abgesehen davon, dass damals für die meisten Studenten mit der Hand zu schreiben die übliche Art des Aufzeichnens war, fand ich es auch toll, mit der Hand zu schreiben! Ich konnte Stunde um Stunde damit zubringen, meine Notizen neu zu schreiben, wichtige Begriffe farblich hervorzuheben, die Inhalte logischer anzuordnen und zentrale Konzepte auf Karteikarten zu übertragen. Es machte mir Spaß, mit den Inhalten herumzuspielen - und es half mir auch, sie besser zu verstehen und mir zu merken.
Wenn ich heute etwas lernen muss, mache ich meine Notizen meist digital. Auf einer Tastur zu tippen geht schneller als mit der hand zu schreiben und ich kann Inhalte zwischen unterschiedlichen Apps und Geräten hin und her schieben. Trotzdem greife ich manchmal auf die altmodische Handtechnik zurück - zum Beispiel, wenn ich beim Lernen feststecke, mich langweile oder die frühere Freude am Herumspielen vermisse. Und normalerweise stellt sich der Effekt ein, den ich mir erhoffe: Die Dinge entwirren sich und ergeben auf einmal mehr Sinn; ich fühle mich engagierter und merke mir Inhalte besser; und vor allem macht das Ganze mehr Spaß.
Die Forschung zeigt, dass meine Erfahrungen keineswegs ungewöhnlich sind. Nächste Woche werde ich darüber berichten, was Wissenschaftler über die Wirkungen des Mit-der-Hand-Schreibens herausgefunden haben – auf das Gefühlsleben, das Gedächtnis und andere Dinge. Bis dahin würde ich gerne erfahren, wie es Euch mit dem Schreiben von Hand geht. Also schickt mir eine Email oder hinterlasst gleich hier einen Kommentar!
Bis nächste Woche!
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